TH Nürnberg zeigt in einer Machbarkeitsstudie: Die autonom fahrende Rangierlokomotive ist möglich

Autonomes Fahren im Rangierdienst: An der TH Nürnberg entwickelt ein Forschungsteam um Prof. Dr.-Ing. Martin Cichon und Prof. Dr. Stefan May eine Steuerung und Sensorik zum autonomen Betrieb von Rangierloks im Güterverkehr. Die Machbarkeitsstudie zeigt: Die autonom fahrende Rangierlok ist möglich! Das Kooperationsprojekt mit DB Cargo hat ein hohes Transferpotenzial. Die ersten Testfahrten sind bereits erfolgreich abgeschlossen.

Die Entwicklung einer Steuerung für eine autonom fahrende Rangierlok ist ein Meilenstein in der Entwicklung des Schienengüterverkehrs der Zukunft. Im Forschungsprojekt "Vollautomatische Abdrücklok", kurz VAL, zeigt das Forschungsteam um Prof. Dr.-Ing. Martin Cichon und Prof. Dr. Stefan May mit der Entwicklung eines Demonstrators: Der Güterverkehr der Zukunft wird sich ändern, die autonom fahrende Rangierlokomotive ist möglich. Auch für die Bundesregierung ist die (Teil-) Automatisierung von Güterzügen im aktuellen Masterplan Schienengüterverkehr ein strategisches Ziel in der Zukunftsplanung.

 

DB Cargo sieht in der Innovation einer autonom fahrenden Rangierlok ein hohes Potenzial: „Die autonom fahrende Rangierlok ist ein Meilenstein in der Entwicklung des Schienengüterverkehrs der Zukunft. In den folgenden Projekten zielen wir auf die Entwicklung vom Demonstrator zum serienreifen Prototypen“, so Steffen Bobsien, Leiter European Assets & Technology bei DB Cargo. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TH Nürnberg haben in enger Kooperation mit DB Cargo, DB Systemtechnik und dem kooperierenden Unternehmen AAIT aus Nürnberg eine erste Testphase zum vollautomatischen Rangieren von Güterzügen auf dem Rangierbahnhof München erfolgreich abgeschlossen.

 

Prof. Dr.-Ing. Martin Cichon, Leiter des Instituts für Fahrzeugtechnik (IFZN) der TH Nürnberg, erläutert das Projekt: „Wir haben für unsere Testfahrten in eine Standard-Rangierlok unsere technischen Steuerungs-Features eingebaut. Diese bestehen im Wesentlichen aus drei voneinander unabhängigen Modulen. Mit je einer Sensorbox auf der Vorder- und Rückseite erhält die Lok digitale ‚Augen‘. Der zentrale Leit- und Steuerrechner verbindet die Sensordaten mit dem digitalen Streckenatlas, den Daten der Positionsbestimmung sowie dem Fahrauftrag und errechnet hieraus die nächsten Aktionen. Jede dieser Aufgaben ist mit einer anderen Funktionalität belegt. Das Erkennen eines Güterwagens bedeutet, in angemessener Geschwindigkeit an ihn heranzufahren und über den Ablaufhügel des Rangierbahnhofs zur weiteren Verteilung ‚abzudrücken‘. Die Erkennung eines statischen Hindernisses bedeutet vor allem, in einem definierten Abstand vor dem Hindernis stehenzubleiben. Bei einem beweglichen Hindernis, wie beispielsweise Gleisarbeitern, ist es zusätzlich notwendig, dass die Lok einen Pfiff zur Warnung absetzt. Die Steuerungssignale für diese Aktionen leiten wir an das dritte Modul, die Fahr- und Bremssteuerung der Nürnberger Firma AAIT weiter. Hier werden die digitalen Signale so umgeformt, dass die bis zu 40 Jahre alte Loksteuerung die Lokomotive in der von uns gewünschten Weise bewegt.“

 

Prof. Dr. Stefan May, Professor für Automationstechnik und Mechatronik, beschreibt die Herausforderung, die sich aus der damit verbundenen Funktionalität ergibt: „Beim derzeitigen Demonstrator besteht die Sensorik aus Laserscanner, Wärmebildkamera und Farbbildkamera. Der Auswertungsalgorithmus führt die Daten aus diesen drei Quellen in ein Umgebungsmodell zusammen. Die Steuerung erhält aus diesem Modell die Informationen, um im Wesentlichen drei Aufgaben mit hoher Sicherheit und Präzision zu erfüllen: Das Erkennen eines Güterwagens, in Differenzierung dazu das Erkennen eines statischen sowie eines beweglichen Hindernisses wie Tiere oder Menschen. Die Herausforderung besteht darin, diese Abläufe bei unterschiedlichen Temperaturen bei Hitze und Kälte, gleißender Sonne oder Regen sowie bei verschiedenen Wagentypen sicherstellen zu können. Diese Herausforderungen haben bis zu einem Serieneinsatz noch viel Forschungsbedarf.“

 

Mit der umgebauten Lok als Demonstrator und den erfolgreichen Testfahrten ist eine erste Phase abgeschlossen. Prof. Dr.-Ing. Cichon: „Unser Ziel in einem möglichen weiteren Projekt mit einem Zeithorizont von drei bis fünf Jahren ist die Entwicklung eines serienreifen Prototypen. Hierzu müssen zunächst noch weitere Sensortypen untersucht und erprobt werden. Zudem gestattet uns das modular aufgebaute System auch andere Lokomotivtypen auszurüsten. Ideen hierzu haben wir bereits in der Schublade.“

 

Der Präsident der TH Nürnberg, Prof. Dr. Michael Braun fasst zusammen: „Das Projekt der autonom fahrenden Rangierlok zeigt den langen Innovationsstrang in Nürnberg zum Thema Schienenverkehr auf. Mit dem Adler wurde im Jahr 1835 zwischen Nürnberg und Fürth die erste Bahnverbindung in Deutschland gebaut. Auch mit der autonom fahrenden U-Bahn nimmt Nürnberg eine Vorreiterrolle ein. Dass die TH Nürnberg mit diesem Projekt der autonom gesteuerten Rangierlok ein hoch innovatives Projekt erfolgreich realisiert, zeigt das Transferpotenzial der Hochschule.“

Weitere Informationen:

 

Zum Institut für Fahrzeugtechnik (IFZN) der TH Nürnberg:

Das Institut für Fahrzeugtechnik (IFZN) der TH Nürnberg ist erfolgreich in der angewandten Forschung und Entwicklung für das Kompetenzfeld Verkehr und Logistik der Metropolregion Nürnberg. Im Cluster Bahntechnik nimmt das Institut eine führende Position innerhalb der wissenschaftlichen Einrichtungen ein.

 

Zum Forschungsbereich AutonOHM:

Das Labor für mobile Robotik forscht an Algorithmen zur Umweltwahrnehmung und Steuerungskonzepten mobiler Roboter. In zahlreichen Industrieprojekten ist es seit vielen Jahren Partner für den Transfer von wissenschaftlichen Ergebnissen in den Bereichen Roboterkontrollarchitekturen, Lokalisierung und Kartographie. Seit 2012 nimmt das Labor mit dem Team AutonOHM an internationalen RoboCup-Wettkämpfen teil und gewann bereits die Deutsche Meisterschaft in den Disziplinen „Erkundung (Rescue)“ und „Logistik (@work)“.

 

Beteiligte externe kooperierende Partner:

Der Beitrag von AAIT aus Nürnberg liegt in der Entwicklung der Fahr- und Bremssteuerung, die die Befehle des Leit- und Steuerrechners in Bewegungen der Lokomotive wandelt.